Die Kastration bei Hunden: Pro und Kontra


Die Kastration gehört heute zu den am häufigsten durchgeführten chirurgischen Eingriffen in Tierarztpraxen. Bei keiner anderen Operation wird von menschlicher Seite mehr mit eigenem Gefühl als mit Fakten argumentiert. Da werden Meinungen von Tierschützern, die diese Operation als tierquälerisch bezeichnen oder die strikte Ablehnung von erfahrenen Tierhaltern oder Züchtern in den Vordergrund gerückt. Diese meist sehr einseitige Betrachtungsweise berücksichtigt keineswegs die psychischen Schmerzen einer eingesperrten läufigen oder scheinträchtigen Hündin bzw. die „Liebessehnsucht“ eines Rüden. Auch das Problem der unerwünschten Nachkommen, die trotz aller Bemühungen der Tierbesitzer entstehen und die Tierheime füllen, lässt man außer acht. Dazu kommt, dass laut Tierschutzgesetz man Tieren nicht ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf. Weiterhin gilt ein Amputationsverbot außer im Einzelfall nach tierärztlicher Indikation. In den letzten Jahren sind einige Studien zu Langzeitfolgen der Kastrationen erschienen. Daher sind sachliche Information unter Einbeziehung neuer medizinischer Erkenntnisse unabdingbar und eine ausführliche Beratung essentiell.
Nach gängiger, aber irrtümlicher Meinung medizinischer Laien werden weibliche Tiere sterilisiert, männliche kastriert. Richtig ist jedoch, dass es sich bei der Kastration bzw. Sterilisation um verschiedene chirurgische Eingriffe handelt. Eine Kastration ist die Entfernung der Geschlechtsdrüsen, also der Eierstöcke beim weiblichen und der Hoden beim männlichen Tier. Dadurch wird außer den sexuellen Aktivitäten auch das hierdurch bedingte Verhalten beendet. Die Hündin wird nicht mehr läufig, der Rüde kann keine Spermien mehr produzieren und zeigt meist kein Aufspringen mehr. Bei der Sterilisation erfolgt eine Unterbrechung der Samenleiter beim männlichen Tier bzw. eine Unterbindung der Eileiter beim weiblichen Tier. Die Tiere werden unfruchtbar, also können keine Nachkommen entwickeln, der Geschlechtszyklus und die damit verbundenen Aktivitäten bleiben jedoch erhalten, denn sie werden durch Hormone aus den Geschlechtsdrüsen gesteuert.
Die Geschlechtsreife und damit die erste Läufigkeit ist bei der Hündin mit einer gewissen Rasseabhängigkeit (kleine Rassen früher) im Alter zwischen sechs und 23 Monaten zu erwarten. Während der sogenannten Stehzeit (meist 10. bis 14. Tag der Läufigkeit), wenn sie fruchtbar und paarungsbereit ist, wird sie unruhig, gehorcht manchmal nicht mehr und versucht permanent zu entweichen und einen Rüden zu finden. Nach etwa drei Wochen ist die Läufigkeit beendet. Ganz gleich ob das Tier gedeckt wurde oder nicht, kommt es nun zu dem für eine Trächtigkeit typischen Hormonverlauf. Deshalb werden sehr viele nicht gedeckte Hündinnen nach Ablauf der normalen Tragezeit (ca. 2 Monate) scheinträchtig. Das heißt, sie zeigen ein angebildetes Gesäuge, teilweise mit Milch und verhalten sich manchmal so als hätten sie Junge (Nestbau, Spielzeug als Welpenersatz). Dies stammt entwicklungsgeschichtlich vom Wolf, da nur die ranghöchste Wölfin Welpen hat und die Weibchen ohne Nachwuchs als Ammen fungieren. Die Hündin wird in der Regel alle fünf bis sieben Monate läufig.
Rüden erreichen die Geschlechtsreife etwa im Alter von acht bis zehn Monaten. Manchmal zeigen sie ein „rowdyhaftes“ Verhalten mit mangelndem Gehorsam, Unruhe und den Drang zu entweichen, was sich bei der Anwesenheit läufiger Hündinnen sogar verstärken kann. Auseinandersetzungen zwischen geschlechtsreifen Rüden führen nicht selten zu erheblichen Bißverletzungen.

Im Folgenden wird das Für und Wider einer Kastration bei der Hündin und beim Rüden beschrieben.

1. Kastration als Krankheitsvorsorge und -behandlung
Die Scheinträchtigkeit der Hündin ist nicht nur eine lästige Begleiterscheinung des Geschlechtszyklus, sondern erhöht ganz erheblich das Risiko für Tumoren der Milchdrüsen. Neueste Forschungen belegen, dass Hündinnen, die vor dem ersten Zyklus kastriert wurden, nicht an Mammatumoren (lateinisch mamma = Milchdrüse) erkranken. Nach der ersten Läufigkeit beträgt das Tumorrisiko nur 8 Prozent und nach der zweiten Läufigkeit 26 Prozent.
Weiterhin können durch die Kastration hormonell bedingte Erkrankungen der Geschlechtsorgane, wie Vereiterungen der Gebärmutter (lateinisch Pyometra), Zysten an den Eierstöcken oder Veränderungen der Gebärmutterschleimhaut verhindert werden. Gebärmuttervereiterungen sind unter Umständen lebensgefährlich und eine Operation ist meist unumgänglich.
Beim Rüden kann es nach der Operation selbstverständlich nicht zu Hodentumoren kommen. Zu den geschlechtshormonbeinflussten Erkrankungen, die vor allem bei älteren Rüden zu finden sind, zählen Prostataerkrankungen, Tumoren der Drüsen rund um den After und der Dammbruch. In diesen Fällen ist die Kastration des Patienten Bestandteil der Therapie. Gleiches gilt für Hündinnen mit Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus). Aber die Prävention ist laut Tierschutzgesetz keine tierärztliche Indikation. Es wird unter Experten diskutiert, ob diese nicht doch als Ausnahme ins Tierschutzgesetz aufgenommen werden sollte.

2. Verhinderung der Geschlechtsaktivität sowie des unerwünschten Nachwuchses
Die zuverlässigste Methode zur Verhinderung einer Trächtigkeit ist die Kastration der Hündin. Eine Unterdrückung der Läufigkeit ist auch durch eine Injektion mit Hormonen möglich. Da Hunde aber bei der Anwendung von Geschlechtshormonen viel empfindlicher als andere Tierarten und der Mensch reagieren, besteht die Gefahr von Eierstockszysten und Gebärmutterentzündungen. Die Spritzenbehandlung ist ein schwerer Eingriff in den Hormonhaushalt der Hündin, der den Körper mehr belastet, als zumeist angenommen. Die Scheinträchtigkeit wird in den meisten Fällen nicht verhindert. Der Einsatz eines Hormonimplantates ist nur bei Hündinnen vor der ersten Läufigkeit zugelassen und sicher. Weiterhin gibt es zugelassene Medikamente zum Abbruch einer Trächtigkeit. Beim Rüden können ein erhöhter Sexualtrieb zu Verletzungen an den Geschlechtsteilen, zu Appetitlosigkeit u.ä. führen. Da es ein zugelassenes Medikament (Suprelorin) zur begrenzten chemischen Kastration gibt, sollte dies immer erst zur Anwendung kommen, bevor ein operativer Eingriff vorgenommen wird. Eine Verhinderung des Deckaktes beim Rüden liegt in der Verantwortung des Hundehalters. Eine Kastration zur Haltungserleichterung oder Erhöhung der Bequemlichkeit des Besitzers ist abzulehnen.

3. Verhaltensänderungen
Viele unerwünschte Verhaltensweisen sind auf Erziehungs- und Haltungsfehler zurückzuführen. Geschlechtsgebundene unerwünschte Verhaltensweisen, wie übermäßiger Sexualtrieb, Streunen, Harnmarkieren sowie hormonell bedingte Aggressivität können durch eine Kastration verhindert bzw. abgeschwächt werden. Im Falle unerwünschter Aggressivität ist eine möglichst frühe Kastration von Vorteil, da sich eine lernbedingte Aggressivität später nicht mehr beeinflussen lässt. Eine Kastration als Verhaltenstherapie sollte stets mit einem Verhaltensmediziner abgesprochen werden, da die chirurgische Kastration nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Beim Rüden sollte zuerst eine hormonelle Kastration durchgeführt werden, um zu überprüfen, ob das beanstandete Verhalten tatsächlich durch Testosteron bedingt ist.

4. Unerwünschte Auswirkungen
Die Meinung, dass kastrierte Hunde zwangsläufig dick werden, ist falsch. Hündinnen und Rüden verlieren ihre hormonell gesteuerte Aktivität (Suche nach einem Geschlechtspartner) und zeigen ein vermehrtes Interesse für die Futteraufnahme (Steigerung des Appetits), ein verringertes Sättigungsgefühl sowie ein Überfressen. Wenn der Besitzer dem verstärkten Betteln des Tieres nachgibt, wird der Hund übergewichtig und seine Aktivität lässt weiter nach (dicke Hunde bewegen sich weniger). Dann ergibt sich ein Teufelskreislauf, der schwer und nur durch konsequente Diät zu durchbrechen ist. Wenn also das Tier die gleiche Futtermenge wie vor der Kastration oder der Bewegung angepasste reduzierte Futtermenge erhält, wird es nicht zunehmen und seine gewohnte Aktivität beibehalten.
Bei Hunden mit weichem langen Deckhaar (z.B. Langhaarteckel) wird manchmal nach der Operation das Fell weicher und flauschiger. Bei drahthaarigen Hunden verbessert sich eher die Fellqualität.
Die häufigste unerwünschte Folge einer Kastration bei der Hündin ist die Harninkontinenz (5-20 %, bei einigen Rassen bis 60 % Wahrscheinlichkeit). Zu den Faktoren, die das Risiko erhöhen, gehören neben Rasse, Übergewicht Alter bei der Katration insbesondere die Körpergröße (normales Körpergewicht) der Hündin. Dabei haben Tiere, die schwerer als 15 kg sind, ein siebenfach erhöhtes Risiko. Diese kann sich innerhalb von Tagen nach der OP oder bis zu 10 Jahre später entwickeln (im Durchschnitt 2 bis 5 Jahre). Mittlerweile gibt es gute Therapieoptionen.
Eine sehr frühzeitige Kastration vor der Geschlechtsreife führt bei manchen Hunden zu einem lebenslangen kindlich verspielten Wesen, was vom Besitzer nicht immer als nachteilig gesehen wird. Manchmal werden diese Hunde auch langbeiniger.
Einige kastrierte Rüden werden von anderen Rüden offensichtlich für eine Hündin gehalten. Ein Bespringen ist jedoch erniedrigend für den Hund und sollte unterbunden werden.                                                                      Ängstliche und im Verhalten unsichere Hunde könnten dieses Verhalten nach Kastration noch verstärken (vermehrtes Auftreten von Geräusch-, Gewitter- oder Trennungsangst, Angstbeißen), daher ist hier eine ausführliche Beratung unabdingbar. Wissenschaftliche Untersuchungen weisen auf die Entwicklung gesundheitlicher Langzeitprobleme nach chirurgischer Kastration hin. Dabei wird neben anderen Faktoren (u.a. auch Fehlen von Östrogen/Testosteron) die konstant erhöhte LH-Konzentration bei kastrierten Hunden diskutiert. LH ist das Hormon, welches im Gehirn ausgeschüttet wird, um die Bildung von Östrogen und Testosteron zu stimulieren oder zu hemmen. Mittlerweile weiß man, dass es nicht nur im Geschlechtsapparat sondern auch in anderen Geweben Andockstellen für LH gibt. Die Aufgabe dieser LH-Rezeptoren ist noch unklar, sie können aber die Zellteilung induzieren und die Freisetzung von Stickstoffmonoxid stimulieren. In diesem Zusammenhang wurde in Studien ein Ansteigen von Gelenkerkrankungen wie Riss des vorderen Kreuzbandes und Hüfgelenksdysplasien nach Kastration sowie eine Zunahme von Tumorerkrankungen beschrieben. Noch unklar ist, ob es einen Zusammenhang zwischen der nach Kastration durchschnittlich erhöhten Lebenserwartung und erhöhter Tumorerkrankung im Alter gibt. Hier werden in den nächsten Jahren weitere Studien folgen.

5. Empfehlungen zu Rassen und zum Kastrationsalter     

Wissenschaftliche Untersuchungen weisen auf ein erhöhtes Risiko gewisser Hunderassen hin, nach Kastration an Gelenkerkrankungen, Harninkontinenz oder bestimmten Tumorarten zu erkranken. Dabei spielt auch der Kastrationszeitpunkt eine Rolle. Von einer Kastration wird abgeraten beim Dobermann-Rüden und bei der Golden Retriever-Hündin, eine Kastration erst mit 1 Jahr wird z.B. Border Collie und erst mit 2 Jahren z.B. beim Boxer empfohlen. Angaben liegen für 35 Hunderassen vor und sollten diesbezüglich bei Kastrationsberatungen berücksichtigt werden. Es werden auch noch weitere neue Studien erwartet.

6. Die Operation
Die Kastration ist für einen geübten Chirurgen ein leichter Eingriff. Die modernen Narkoseverfahren und die Überwachungsmöglichkeiten während der Operation haben die Komplikationsrate bei gesunden Tieren fast gegen null bewegt. Das Operationsrisiko bei der Kastration einer jungen gesunden Hündin ist wesentlich kleiner als bei einer älteren an Pyometra erkrankter. Nachteilig für den Tierbesitzer ist natürlich der Kostenfaktor. Bei Preisvergleichen sollten sie jedoch beachten, dass eine höhere Sicherheit für ihr Tier (Narkosemanagement) und eine hohe Qualität der Operation ihren Preis hat und die Nachsorge (Kontrolle, Fäden entfernen) enthalten sein sollte.

Inhalt und Texte Copyright Tierarztpraxis Dr. Rottmayer Leipzig. (2023) Quellen: u.a. Reprodutionsmedizin-Spezial Fa. Virbac. Internet: www.tierarzt-leipzig.de